365 Days

Das Leben stellt den Menschen nie vor vollendete Tatsachen. Man hat immer die Wahl und gestaltet sein eigenes Leben mit den Entscheidungen, die man selbst trifft.
Auch ich habe ihm die Wahl gelassen. Egal welche Entscheidung er trifft, ich werde sie akzeptieren und ihm keine Vorwürfe machen.

Wenn mein Mann nicht glücklich ist, dann bin ich es auch nicht, denn ich kann es nicht ertragen, wenn er leidet. Das klingt absurd, nicht wahr? Doch das ist mein Wesen ... meine Persönlichkeit. Ich würde alles in meiner Macht Stehende tun, um ihn glücklich zu wissen (Würdet ihr ihn kennen, so wie ich es tue, dann wüsstet ihr, warum ich keinen anderen Mann in meinem Leben brauche...).
Ich möchte nicht, dass er mich heiratet, weil er Mitleid mit mir und meinen Gefühlen hat oder sich von der Gesellschaft oder irgendjemandem gezwungen fühlt (die kleine Hochzeitsgesellschaft sollte am nächsten Tag anreisen). Sein Herz muss ihm sagen, ob er mit mir glücklich ist.
Will er mich also nicht heiraten, dann muss es so sein - Hauptsache er bereut seine Entscheidung nicht, egal wie traurig ich darüber bin und wieviele Tränen ich vergieße.

Denn wie soll ich mich in der Ehe fühlen, wenn mein Mann nicht glücklich ist? Ich bin keine Schauspielerin und mache "gute Miene zum bösen Spiel". Ich kann und möchte die Gegebenheiten nicht ignorieren und so tun, als ob es diese Situation nie gegeben hat.

Wer kann solch eine Tatsache schon ignorieren?!

"Bist du dir sicher, dass wir heiraten sollen?" - Was für eine überflüssige Frage, war mein erster Gedanke zu diesem Zeitpunkt.
Furchtlos und ohne jeglichen Zweifel hatte ich mein Herz dem Mann geschenkt, der mein Leben bereichert hat und es immer noch tut.
Ich sagte 3 Mal "Ja" in unserer Beziehung - "Ja" ich möchte mit dir zusammen sein, "Ja" ich möchte dich zu meinem Mann nehmen und "Ja" ich möchte dich am liebsten sofort heiraten.

So und nun möchte er mich prompt nicht mehr? Ich bin also doch nicht diejenige, mit der er sein Leben verbringen möchte? Mein Verstand sagt mir nur "Hallo Frau Du-bist-wohl-nicht-die-Richtige" und mein Herz schreit "Vielen Dank".
Wenn man den anderen unvorstellbar liebt und vergöttert, ist dann nicht jede Entscheidung richtig, egal wie groß, absurd oder abenteuerlich sie erscheint?
Auf meine Frage, ob ich überhaupt seine Liebe fürs Leben bin, fragte er mich, ob es überhaupt so etwas wie die "einzig wahre große Liebe" gibt - und ich überlegte.

Nein, gibt es nicht. Die "einzige" Liebe kann es schon mal nicht sein, denn ich weiß aus Erfahrung, dass man mehrere Beziehungen geführt und somit mehrere Lieben kennengelernt hat.
"Groß" kann die Liebe auch nicht sein, denn man kann dieses Gefühl nicht mit "groß" oder "klein" beschreiben. Liebe ist ein Zustand und jeder Mensch interpretiert diesen Begriff auf seine Art und Weise.
Liebe ist schließlich nicht immer gleich Liebe!
Dieses Gefühl lässt mich persönlich Verbundenheit, Zuneigung, Treue, Ehrlichkeit und Geborgenheit fühlen.

Ist eine "wahre Liebe" also nicht ausreichend, um ein Abenteuer zu wagen? Sind die intensiven Gefühle, die Aufrichtigkeit und die endlos erscheinende Zuneigung nicht Beweise dafür, dass die Liebe nicht "falsch" sein kann?
Muss man die Beziehung tatsächlich in Frage stellen? Ich musste es nie, denn meine Liebe zu meinem Mann ließ das nicht zu - nicht eine Sekunde.
Wieso können Menschen nicht an dem festhalten, das sie bereits sehr glücklich macht und bei dem sie sich wohl und geborgen fühlen? Wieso streben sie immer nach "mehr" oder "anderem"? Was ist, wenn man später dann erfahren muss, dass es in der Liebe kein "mehr" oder "größer" gibt?
Man bereut, es beendet zu haben und merkt erst zu spät, wieviel man an dieser Beziehung und dem Partner hatte. Und was dann?

Ich weiß auch nicht, was die Zukunft für uns bereit hält, aber ich weiß, dass ich dieses Abenteuer mit meinem Mann wagen und alle Erfahrungen und Erlebnisse mit ihm teilen möchte. Jedoch weiß ich sicher, dass jeder einzelne kostbare Moment mit ihm mein Leben bereichern wird.
Und er?

Es folgte Stille, nachdem ich ihm meine Überlegungen geschildert hatte, und ich sah ihm an, wie er sich anschließend mit seinen eigenen Gedanken beschäftigte.

An diesem Tag wusste ich zum ersten Mal in meinem Leben, wie es sich anfühlt, wenn man in ein unendlich tiefes, dunkles Loch fällt - Ihr müsst wissen, dass mich nicht viel aus der Fassung bringen kann, auch wenn ich manchmal emotional bin. Das etwas nicht stimmt, hatte ich bereits ein paar Tage zuvor bemerkt, trotzdem nicht mit Folgendem gerechnet, als ich nachhakte.

"Bist du dir sicher, dass wir heiraten sollten?" - Bäm! So muss es sich anfühlen, wenn ein Klitschko dich im Gesicht trifft.
Hatte ich mich eventuell verhört? War er es nicht, der mich zu seiner Frau nehmen wollte? War er es nicht, der mich am liebsten sofort geheiratet hätte?
Was ich wollte, muss ich an dieser Stelle nicht erklären, denn daran hat sich bis heute nichts geändert. Warum also gerade diese Frage?
Bekommen Partner vor der Hochzeit häufig kalte Füße? Vielleicht.

Doch auch die Tränen in seinen Augen haben mir gezeigt, dass ihm diese Frage nicht leicht gefallen ist und es ihn sehr bedrückt hat - mein Mann ist nämlich nicht gerade der Typ, der anderen seine Gefühle zeigt (man muss nur dran bleiben und ihm alles aus der Nase ziehen!) und er macht sich über viele Dinge (zu viele) Gedanken.
Dieses Mal ging es aber nicht nur um ihn selbst, sondern auch um mich.

"Es gibt Momente, wo ich mich zu anderen Frauen hingezogen fühle" - ob ihr es glaubt oder nicht, diese Aussage schockierte mich hingegen ganz und gar nicht.
Warum? Weil es so sein darf! Ab und an braucht man die Momente, in denen man andere Männer oder Frauen attraktiv findet oder sich zu ihnen hingezogen fühlt. Flirten darf in unserer Beziehung also ruhig sein, solange es auch nur dabei bleibt. Ich möchte meinem Mann keine Leine um den Hals legen und ihm verbieten, andere Frauen anzusehen oder sich mit Arbeitskolleginnen zu treffen - niemals! Mir geht es schließlich auch nicht anders: es gibt Momente, in denen ich es aufregend finde, wenn auch andere Männer sich für mich interessieren.

Aber wisst ihr was? In unserer Beziehung hatte ich nie ein sexuelles Bedürfnis zu anderen Männern verspürt - ich wollte mir nichts mit dem fremden Mann vorstellen und ich habe mich auch nie gefragt, wie es wohl so ist, wenn ...
Wenn du in diesen Momenten an deinen liebevollen und wunderbaren Mann denken musst, obwohl er nicht da ist, dann weißt du, dass du die restliche Welt gar nicht brauchst. Dann weißt du nämlich mit 100%iger Sicherheit, dass dein Herz - so klischeehaft das nun klingen mag - nur für ihn schlägt.

"Ich habe auch Gefühle für eine andere Frau und fühle mich sexuell zu ihr hingezogen" - da ist das schwarze, tiefe Loch!
Da nahm das Heulen kein Ende, denn ich sah bereits das Ende unserer Beziehung in meinem geistigen Auge. Ich habe nur noch darauf gewartet, dass er seine weiteren Worte ausspricht.

Gefragt zu werden, ob man mit dem Mann des Herzens den Bund der Ehe eingehen möchte, ist wohl das aufregendste, was mir passieren konnte.
Mir blieb nichts anderes übrig, als von ganzem Herzen mit "Ja" zu antworten. Nicht ein einziger Funken Zweifel bestand - das haben mir die Tränen in den Augen meines wundervollen Freundes bestätigt.

Vor ein paar wenigen Monaten dann, hat er mich schließlich gefragt, ob ich ihn noch dieses Jahr zu seinem Mann nehmen möchte. Der Blick seiner intelligenten Augen sagte in diesem Moment nichts anderes, als dass ich die Einzige in seinem Leben bin und sein werde. Ich ließ mir mit meiner Antwort etwas Zeit, um in mich kehren zu können.
Zu diesem Zeitpunkt musste ich aber nicht sorgfältig überlegen, da mein Herz die Antwort bereits wusste - bereits vor vielen Jahren hat es diese Entscheidung getroffen.
Das Leben steckt nunmal voller Überraschungen, nicht wahr? Man darf sich nur nicht vor ihnen fürchten!

Aus unendlicher Liebe und Hingabe zu ihm, sagte ich abermals "Ja".

... warum? Aus dem einfachen Grund: ich bin nun wirklich nicht der Typ der sich fremden Menschen mitteilen muss. Mein Privatleben und meine Gefühle gehen die Welt nichts an.
Andererseits gibt es Momente im Leben, wo man sich einfach mitteilen muss - egal, ob sich jemand dafür interessiert oder nicht.

Oft braucht man seine eigenen Gedanken schwarz auf weiß, um sie besser verstehen und einordnen zu können.
So wie ich hier und jetzt.

Worüber ich schreibe mag nach 0815 klingen, bedeutet mir selbst aber unvorstellbar viel. Es geht um Liebe und meinen Mann ...
Frisch verheiratet und doch ist so viel passiert - was eine einzelne Frage für eine Lawine an Gefühlen auslösen kann.

Wie dem auch sei: 365 Tage. So lange werde ich in diesem Blog über unser "erstes verflixtes" Ehejahr schreiben.
Und danach? Nichts mehr, denn das, was anschließend passiert, wird mein Geheimnis bleiben. Schließlich ist es meine Geschichte, oder?

Das Ganze hier mache ich letzten Endes nur, um mein Leben mit meinem Mann besser verstehen zu können und - so surreal es auch klingt - um meinen Mann selbst besser begreifen zu können.

Absurd. Mehr sagt mir mein Verstand zu meinem Blog nicht.